Am vergangenen Freitag, den 22. Januar 2021 trafen sich 700 Gäste auf der bündnisgrünen Klimakonferenz „Berlin for Future“. Das Online-Format vereinte Vorträge, Diskussionsrunden und Workshops zu den kritischen Fragen unserer Zeit. Ziel war es, auch die schwierigen Punkte anzupacken. Denn wir wollen nicht die Gebäudedämmung gegen bezahlbares Wohnen, oder die Verkehrswende gegen Inklusion ausspielen. Nein, wir brauchen Lösungen, die Ökologie und soziale Teilhabe gleichermaßen fördern!
Gemeinsam mit Anja Kofbinger und Marianne Burkert-Eulitz organisierte Harald Moritz den Workshop „Berlin autofrei: Kulturkampf oder Notwendigkeit?“. In der Diskussion um Citymaut, Parkraumbewirtschaftung, Superblocks und andere effektive Instrumente kommt stets das Argument, diese seien unsozial und schaden der Wirtschaft. Um diesen Gegenargumenten zu begegnen, machten wir sie zum Kernstück des Workshops. Der Verkehrssektor hat seinen Anteil an den Berliner CO2-Emissionen von 17% 1990 auf 33% 2019 vergrößert. Der Berliner Straßenverkehr lag mit einem Ausstoß von 3.876.000 Tonnen CO2 2019 weit vor dem Luftverkehr (1.335.000 Tonnen), dem Schienenverkehr (383.000 Tonnen) und der Binnenschiffahrt (48.000 Tonnen). Der Schienenverkehr ist der Verkehrssektor, in dem der Ausstoß erheblich reduziert werden konnte. Im Luftverkehr wiederum nahm er dramatisch zu. Die Emissionen des Straßenverkehrs stagnieren, bergen jedoch große Potenziale für Emissionseinsparungen.
Denn Berlin ist sehr gut durch den Umweltverbund erschlossen. Wenige Menschen sind heute noch tatsächlich auf ihr Auto angewiesen und es werden immer weniger werden, denn wir investieren gerade massiv in den ÖPNV, auch in die Umlandverbindungen. Den Beharrungskräften der automobilen Gesellschaft stehen Bündnisse wie „Berlin autofrei“ gegenüber, die das Ziel verfolgen das öffentliche Straßenland umzuwidmen: Autos bräuchten eine Erlaubnis um dieses noch befahren zu dürfen. Wir bewegen uns in einem umstrittenen Feld. Doch gab es auch weitreichenden Konsens unter unseren Gästen von ACE, SoVD, Fuhrgewerbe-Innung, Berlin autofrei, autofreiem Wrangelkiez und Öko-Institut.
Den Anfang machte ein Beitrag aus der Praxis. Im Wrangelkiez arbeitet eine Initiative seit Jahren an der Autoreduktion. Neben ökologischen Gründen und der Sehnsucht nach guter Luft spielt hier Flächengerechtigkeit eine große Rolle. Denn der Kiez ist überschwemmt mit Autos, hingegen fehlen Freiflächen. Demos, Workshops und Anwohner*innentreffen trugen erste Früchte: durch Diagonalsperren wurde der Durchgangsverkehr vermindert, eine Machbarkeitsstudie wird erarbeitet. Die größte Angst ist hier, dass der Kiez durch Verkehrsberuhigung noch attraktiver und die Gentrifizierung dadurch weiter angekurbelt werden könnte. Hier ist eine regulative Mietenpolitik gefragt.
Ruth Blanck vom Öko-Institut veröffentlichte im Herbst 2020 eine Studie zu den sozial-ökologischen Dimensionen der deutschen Verkehrspolitik. Fakt ist: Der Pkw-Besitz ist sehr unterschiedlich verteilt. Obere Einkommensgruppen haben oft zwei Autos während einkommensschwache Haushalte tendenziell kein Auto besitzen. Damit profitieren erstere von der niedrigen Kfz-Steuer, Kilometerpauschale, Dieselprivileg, Kaufprämien und niedrigen Parkgebühren, während zweitere all diese staatlichen Förderungen überhaupt nicht in Anspruch nehmen können. Die heutige Situation ist unsozial.
Ursula Engelen-Kefer unterstützte diese Erkenntnisse. Er werde auf nationaler Ebene permanent von unten nach oben umverteilt. Die bestehenden verkehrspolitischen Instrumente müssen allesamt auf den Prüfstand, so die Vorsitzende des Berlin-Brandenburger SoVD. Voraussetzung für eine soziale Mobilität sei die Barrierefreiheit. Sie bildet einen wichtigen Baustein in unserem Berliner Mobilitätsgesetz.
Doch was sagt das Gewerbe zu alledem? Gerd Bretschneider repräsentiert den gewerblichen Güterkraftverkehr, das Omnibus-Mietwagen- und Krankentransportgewerbe. Die Ver- und Entsorgung der Kieze werde wohl noch einige Jahre auf Dieselantriebe angewiesen sein, so etwa die Pressmüllfahrzeuge der BSR. Ein großes Problem läge in dem regelwidrigem Verhalten vieler Autofahrer. Straßen und Lieferzonen würden „vollgeparkt“, sodass dem Lieferverkehr kein Platz mehr bleibt. Eine konsequente Verkehrsüberwachung würden dem Lieferverkehr zugute kommen, weniger Individualverkehr ebenso.
Julia Collingro ist Referentin für Verkehrspolitik beim ACE, dem Auto Club Europa. Grundsätzlich ist der ACE der Ansicht, dass Push-Maßnahmen wie Parkraummanagement oder eine Citymaut erst auf Pull-Maßnahmen wie Angebotserweiterung folgen dürfen. Doch sei Berlin schon so weit. Die Vorkehrungen wurden getroffen, in vielen Bereichen der Stadt ist der ÖPNV schon heute sehr gut. Es fehle schlichtweg der Anreiz zum Umstieg, Parken und Anwohnerparken sei viel zu günstig. Um ein höheres Ziel zu erreichen sei es sehr wichtig die Menschen mitzunehmen und gut zu erklären, wohin bestimmte Maßnahmen uns führen. Sharing-Angebote und mehr Park&Ride könnten Autofahrer*innen beim Umstieg unterstützen.
Die Initiative für einen Volksentscheid „Berlin autofrei“ schlägt einen anderen Weg ein. Sie will das Nutzungsrecht von Straßen auf den Kopf stellen. Nicht immer war die Straße ausschließlich für Autos da. Nein, die heutige Flächenverteilung des öffentlichen Raums sei das Vermächtnis der Nachkriegsjahre. Der Anspruch des Gemeingebrauchs von Straßen für Autos soll abgeschafft werden. Weitreichende Ausnahmen sollen die Nutzung selbiger zu einem bestimmten Zweck (Umzug, Transport, Barrierefreiheit, Gewerbe, …) jedoch weiterhin erlauben. Noch im Februar stellt die Initiative ihren Gesetzentwurf vor.
Im Ziel stimmt Harald Moritz Ludwig Lindner von „Berlin autofrei“ zu. Bei politischen Vorhaben sei stets auf die rechtliche Machbarkeit auf Landesebene zu achten. Während das auf Citymaut und Parkraummanagement zutrifft muss der Ansatz der Initiaitve erst noch rechtlich abgesichert werden.
Was den Weiterbau von Straßen betrifft so gilt: Wer Straßen sät wird Autoverkehr ernten. Oft zulasten des ÖPNV. Grundsätzlich ist jeder weitere Bau von Autobahnen abzulehnen. Erst recht wenn sie quer durch eine Metropole verlaufen sollen. Wir brauchen dringend mehr Gestaltungsspielraum auf Bundesebene um hier ein Umlenken zu erzielen. Mit einer klimagerechten Mobilitätspolitik kommen wir unserer globalen Verantwortung nach. Denn ärmere Länder der Welt leiden heute schon viel stärker unter dem Klimawandel, auch wenn sie ihn kaum mit verursacht haben. Die Verkehrswende ist auch national und Berlin-weit betrachtet eine soziale Wende. Wir wollen diese auch in Zukunft weiterbringen.