Verschiedene Studien kommen zu einem beunruhigenden Ergebnis: Verliert der ÖPNV als Folge der Corona-Krise auf Dauer Fahrgäste? Müssen sich die Verkehrsunternehmen auf gravierende Einnahmeverluste einstellen? Droht der Verkehrswende gar ein Scheitern?
Das auf Mobilität spezialisierte Beratungsunternehmen civity hat am 3. April 2020 einen Beitrag veröffentlicht, in dem es anhand aktueller Zahlen drei Szenarien entwirft, wie sich die Corona-Krise langfristig auf den ÖPNV auswirken könnte. Alle drei kommen zu dem Schluss, dass dem ÖPNV auch nach der Krise ein Verlust von Fahrgästen drohen könnte. Im schlimmsten Fall sogar auf Jahre hinweg, was die Verkehrsunternehmen in finanzielle Schwierigkeiten bringen würde. Grund sei, dass zum einen durch die aktuellen Beschränkungen die Nachfrage generell niedriger sei und durch eine drohende Rezession niedriger bleiben könnte. Zum anderen würde dem ÖPNV ein Image als “Virenschleuder” anheften. Dies könnte Fahrgäste auf Dauer abschrecken. Folge wäre, dass stärker das Auto und Rad genutzt würden. Die Verkehrswende drohe zu scheitern oder sich um Jahre zu verzögern.
Auch der Automobilclub ADAC kommt in einer eigenen Analyse zu dem Schluss, dass sich das Mobilitätsverhalten in Deutschland aufgrund der Auswirkungen der Corona-Krise auf Dauer verändern könnte. In einer Umfrage des ADAC gab die Mehrheit der Befragten an, zur Zeit mehr als sonst das Auto und weniger den ÖPNV zu nutzen. Auf Dauer können sich demnach viele vorstellen, auch in Zukunft wieder mehr das eigene Auto zu nutzen, aber auch öfter zu Fuß zu gehen oder mit dem Rad zu fahren. Unklar ist jedoch, wie repräsentativ diese Befragung ist, zum Beispiel ob nur ADAC-Mitglieder befragt wurden.
Ein Forschungsprojekt der Humboldt-Universität (HU) und des Robert-Koch-Instituts kommt allerdings zu etwas differenzierteren Ergebnissen. Zwar habe die Mobilität insgesamt in Deutschland in den letzten Wochen abgenommen, aber regional mit starken Unterschieden. Zwar haben in Berlin BVG und S-Bahn ihr Angebot ausgedünnt. Doch es zeigt sich, dass der ÖPNV nach wie vor systemrelevant ist, weil zum Beispiel Arbeitende auf ihn angewiesen sind, aber auch Senioren selten über ein eigenes Auto verfügen. Überhaupt ist der Motorisierungsgrad der Bevölkerung in Berlin niedriger als im Rest des Landes. Zum Teil ist von (zu) vollen Bahnen und Bussen zu hören.
Was ist also zu tun, um den ÖPNV nicht auf Dauer zu schädigen und die Verkehrswende weiter voranzubringen? Vor allem kommt es darauf an, die Attraktivität des ÖPNV auch in der Krise zu wahren! Einschränkungen sollten nur dort stattfinden, wo sie zum Beispiel mangels einsatzfähiger Fahrer*innen unvermeidbar sind. Auf ausreichende Takt-Intervalle und Kapazität der Fahrzeuge ist zu achten, damit Fahrgäste in der Lage sind, Abstand zu halten. Der ÖPNV darf nicht zum “Schmuddelkind” werden – Busse und Bahnen müssen häufiger gereinigt und womöglich auch desinfiziert werden. Dies könnte zum Beispiel auch während der Fahrt stattfinden oder die Bahnhöfe entsprechend ausgerüstet werden. Für ÖPNV-Kund*innen muss sichtbar sein, dass in Bussen und Bahnen auf Hygiene geachtet wird. Über das Tragen von Mund-Nase-Masken wird diskutiert. Voraussetzung ist natürlich, dass genügend Masken zur Verfügung stehen.
Abo-Kund*innen sollten schnell und unkompliziert entschädigt werden. Die Verluste der Verkehrsunternehmen müssen von der öffentlichen Hand ausgeglichen werden. Hier muss aber auch langfristig stärker über zusätzliche Finanzierungsquellen diskutiert werden, um die Einnahmen und den weiteren Ausbau zu stärken. Der ÖPNV als Herzstück des Umweltverbundes ist unverzichtbar für die Verkehrswende und den Klimaschutz, das hat sich durch die Coronakrise nicht verändert. Wir sind bereit, diese Debatte weiterzuführen und unterstützen alle Maßnahmen, die die Auswirkungen dieser Krise abfedern.