Am 4. November haben wir ein Online-Fachgespräch durchgeführt, um mit Expert*innen über das Potenzial der Citymaut für die Verkehrswende zu diskutieren. Die Veranstaltung ist Teil einer Reihe von Veranstaltungen, mit deren Hilfe wir verschiedene Instrumente unter die Lupe nehmen wollen, die zur Finanzierung des ÖPNV beitragen könnten. Uns ging es vor allem um zwei Aspekte. Einerseits wollten wir erörtern, unter welchen Bedingungen die Citymaut den motorisierten Individualverkehr (MIV) in der Innenstadt zurückdrängen kann. Ebenso ging es aber auch darum, zu diskutieren, inwiefern die aus einer Citymaut generierten Einnahmen zur Finanzierung des ÖPNV beitragen können. Wir sind erfreut über die große Beteiligung, wie auch die konstruktive Diskussion und konnten wertvolle Erkenntnisse gewinnen, die in den weiteren Meinungsbildungsprozess einfließen werden. Ich möchte mich an dieser Stelle bedanken – für das Grußwort der Senatorin, für die interessanten Beiträge Referent*innen, aber auch für die Organisation und Nachbereitung bei den Mitarbeiter*innen meines Büros und der Pressestelle unserer Fraktion, hier vor allem bei Sophia van Vügt für die Vorbereitungen und Laura Hoffmann für die Moderation.
Wir wollen an dieser Stelle nach ein paar Vorbemerkungen die Beiträge in einem Bericht zusammenfassen und unsere gewonnenen Erkenntnisse umreißen. Bei Interesse können Sie die gehaltenen Vorträge am Ende dieser Seite herunterladen, sowie eine Aufzeichnung der Veranstaltung ansehen. Sollten Sie noch Fragen haben, können Sie gerne mit uns in Kontakt treten.
Zur Einführung: Das Berliner Verkehrsgeschehen unterscheidet sich nicht grundsätzlich von anderen Metropolen. Wir haben einen anhaltenden Bevölkerungszuwachs, steigende Zahlen von Pendler*innen und eine zunehmende Überlastung im Straßenverkehr. Folgen daraus: mehr Verkehrsstaus, hohe Luft- und Lärmbelastungen, hohe Unfallzahlen, bei starker Flächenkonkurrenz zwischen den unterschiedlichen Verkehrsträgern.
Der Verkehrssektor ist der einzige, bei dem der CO2-Ausstoß steigt und damit die Klimabelastungen wachsen. Andererseits steigen in Berlin erfreulicherweise die Fahrgastzahlen des ÖPNV (vor Corona) und der Radverkehrsanteil. Beide stoßen aber an Kapazitäts- und Infrastrukturgrenzen.
Die rot-rot -grüne Koaliton steuert seit knapp 4 Jahren deutlich um und ebnet den Weg der Verkehrswende. Wir haben die bisher größte Investitionsoffensive im ÖPNV gestartet. Auch beim Radverkehr haben wir mit Protected Bikelines und PopUp-Radwegen die Wende eingeleitet.
All diese Pull-Maßnahmen durch Angebotsverbesserungen werden erst nach und nach wirken. Aber werden wir all diese Vorhaben auch wirklich in der notwendigen Zeit finanzieren können? Und werden diese Alternativen zum MIV auch tatsächlich zum Umstieg auf den Umweltverbund führen oder bedarf es nicht auch Push-Maßnahmen um die jahrelangen und lieb gewordenen Gewohnheiten zu ändern?
Zu den Beiträgen: Den Anfang machte Frau Prof. Dr. Silke Bustamente von der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Sie lieferte die wissenschaftliche Einordnung und legte die rechtlichen Rahmenbedingungen dar. Sie erklärte, dass die Wirkung des Instruments gemäß den Zielen des Gesetzgebers individuell angepasst werden kann. Dr. Roman Ringwald von der Rechtsanwaltskanzlei Becker, Büttner & Held bekräftigte dies. Das Land Berlin könne grundsätzlich eine Maut auf allen Straßen erheben, die nicht Bundesfernstraßen seien, da hier der Bund bereits eine Regelung erlassen hat. Bei automatischer Kennzeichenerfassung seien aber die datenschutzrechtlichen Bestimmungen zu beachten. Malte Spitz, Datenschutzberater und Mitglied von BÜNDNIS’90/DIE GRÜNEN, vertiefte dies im Anschluss und machte deutlich, wo der Datenschutz in Gefahr geraten könne. Zum Beispiel, wenn mithilfe der erhobenen Daten ein umfangreiches Personenprofil angelegt werden könne.
Im praktischen Teil machte Christina Calderato, Mobilitätsplanerin der “Transport of London”, eindrucksvoll deutlich, wie die seit 2003 erhobene “Congestion Charge” erfolgreich zur Senkung des MIV in London beigetragen hat. Die Stadt habe so die politischen Ziele der Senkung des Anteils des MIV, der Verbesserung der Luftgüte und des Lärmschutzes im Innenstadtbereich erreicht. Daniel Hellden, Vizebürgermeister und in der Stadt Stockholm für Mobilität zuständig, bekräftigte dies. Er zeigte am Beispiel Stockholms, wie durch die schrittweise Umsetzung und Preisgestaltung eine breite politische Akzeptanz in der Bevölkerung für die Maßnahmen gewonnen werden konnte. Harald Moritz machte deutlich, dass es um eine sozial-ökologische Verkehrswende gehen müsse. Es seien gerade die Einkommensschwachen, die am wenigsten Emissionen verursachen. Sie besitzen oft gar kein Auto, müssen die Folgen, wie Lärm und Umweltverschmutzung aber ertragen und sind auf den ÖPNV stärker angewiesen. Er umriss am Beispiel Berlins, wie eine Citymaut bei uns praktisch umgesetzt werden könne. Er schlug vor, die Kosten nach Gewicht und Emissionen zu staffeln. Die Tagesgebühr könnte zum Beispiel dem Preis eines Tagesticktes des VBB entsprechen. Die Citymaut könne helfen, die Ziele des Mobilitätsgesetzes zu erreichen, den MIV zu reduzieren und sicherer aber auch flüssiger zu machen unter anderem für den Wirtschafts- und Lieferverkehr. Die erzielten Einnahmen sollen zweckgebunden in zusätzliche Angebote und Investitionen in den Berliner ÖPNV fließen und so den Umstieg vom Auto auf den Umweltverbund leichter möglich machen. Das könnte schon kurzfristig allen Berliner*innen und dem Klimaschutz nützen.
In der anschließenden Diskussion machte Lutz Kaden von der IHK Berlin deutlich, dass auch aufgrund der Pandemie keine zusätzlichen finanziellen Belastungen für die Berliner Wirtschaft vertretbar seien. Auf der anderen Seite betonte Verkehrsforscher Prof. Dr. Andreas Knie erneut, das Autofahren ein Privileg und kein Grundrecht sei und die Ausmaße des MIV den Städten mehr schaden als nutzen. Staatssekretär Ingmar Streese ließ erkennen, dass die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz einer Citymaut durchaus wohlwollend gegnüber stehen würde. Ragnhild Sörensen von Changing Citys äußerte sich widerum skeptisch zur Citymaut, weil ihr das Instrument nicht wirkungsvoll genug erscheint, das Auto aus der Stadt zu verdrängen.
Als vorläufiges Fazit lässt sich zusammenfassen, dass die Einführung einer Citymaut rechtlich und technisch in Berlin auf jeden Fall möglich wäre und bei entsprechender Ausgestaltung helfen kann, die politischen Ziele auf dem Weg zur Verkehrswende erreichen. Die Citymaut würde unmittelbar zur Reduzierung des MIV beitragen und die von ihm verursachten Belastungen senken, wie die Beispiele aus London und Stockholm gezeigt haben. Neben der Citymaut gibt es aber noch weitere sinnvolle Instrumente, wie zum Beispiel die Parkraumbewirtschaftung oder andere Nutznießerbeiträge, die weiter zur Diskussion stehen. Um die politische Akzeptanz zu erreichen muss deutlich gemacht werden, dass das Instrument der Allgemeinheit nützt, soziale Ungleichheiten berücksichtigt und nicht zur Drangsalierung von Autofahrer*innen gedacht ist. Der Ausbau des ÖPNV muss auf jeden Fall vorangetrieben werden und die beschlossenen Klimaschutzziele erreicht werden, um die Stadt auf Dauer funktionstüchtig und lebenswert zu erhalten.
Die Berliner Zeitung berichtete hierzu am 04.11.20. Eine Aufzeichnung der Veranstaltung finden Sie hier. Die Vorträge zum herunterladen finden Sie hier…