Der Klimawandel macht ein grundsätzliches Umdenken im Verkehrssektor nötig. Wir müssen weg vom Individualverkehr hin zu einer attraktiven Mobilität durch den Umweltverbund. Urbane Mobilität ist dazu geeignet mit gutem Beispiel voranzugehen und den Individualverkehr immer weiter zurück zu drängen.
Die Berlinerinnen und Berliner gehen mit ihrem Mobilitätsverhalten mit gutem Beispiel voran. Es gibt natürlich viele, die nach wie vor mit dem eigenen Auto unterwegs sind. Ein großer Teil der Stadtgesellschaft lebt die Verkehrswende aber schon vor. Das zeigt sich u.a. an den immer weiter steigenden Fahrgastzahlen. Nun liegt es an der Politik und Verwaltung, den ÖPNV-Ausbau klug zu gestalten. Dazu müssen allerdings die Ressourcen in finanzieller und personeller Hinsicht gestärkt werden. In einem ersten Schritt haben wir in der Verkehrsverwaltung weitere Stellen geschaffen, die allerdings noch verstärkt werden müssen. Die momentane Haushaltslage ist gut, doch die massiven Investitionen in Fahrzeuge und Infrastruktur können auf Dauer nicht allein durch öffentliche Zuschüsse bewältigt werden. Bei den Ticketpreisen ist mit der letzten Erhöhung in vielen Sparten auch ein Maximum erreicht, diese Stellschraube lässt sich nicht viel weiter drehen. Diese Ausgangslage hat mich dazu veranlasst, eine dreiteilige Fachgesprächsreihe über neue Wege in der ÖPNV-Finanzierung zu organisieren.
Die größte finanzielle Wirkung hätte wohl eine Citymaut oder eine solidarische Umlagefinanzierung des ÖPNV durch alle Berlinerinnen und Berliner. Den Auftakt der Fachgesprächsreihe machte am 04. März 2020 aber das Thema Gästeticket. Nach unserer Ansicht können wir mit dem Gästeticket eine Win-Win-Situation für die Gäste der Stadt (sie bekommen mit ihrer Übernachtungsbuchung ein günstiges Ticket und einfachen Mobilitätszugang) und die Verkehrsbetriebe (mehr Einnahmen, dadurch das alle zahlen müssen) schaffen.
In ihrem Grußwort leitete Antje Kapek das Thema ein. Die Verkehrswende ist angestoßen und sie ist unumkehrbar, so unsere Fraktionsvorsitzende. Viel zu lange wurde zu wenig geplant und gebaut, nun stehen wir vor massiven Investitionen. Diese Situation wird sich über die nächsten Jahre und Jahrzehnte fortsetzen. Nun ist also die Zeit, die Verkehrswende nachhaltig finanziell abzusichern. Dies sollte für den gesamten Tarifverbund Berlin-Brandenburg gelten, denn beide Regionen sind seit Jahren dabei, immer mehr zusammenzuwachsen und brauchen sich gegenseitig.
Alain Groff, Leiter Mobilität des Kantons Basel-Stadt referierte über den ÖPNV in Basel. Dort gibt es im gesamten Stadtgebiet Parkraumbewirtschaftung, es gilt überwiegend Tempo 30. Als sich die Stadt 2010 das Ziel setzte jährlich 10 % weniger Autoverkehr zu haben war klar, dass auch „Push-Maßnahmen“ ergriffen werden müssen. Durch bloße Anreize würde die Verkehrswende nicht gelingen. Zu der Abkehr vom Autoverkehr führten in Basel vor allem nüchterne logische Gründe. Die Stadt und ihre Bewohner*innen wollten sich den Flächenverbrauch durch den energetisch ineffizienten Individualverkehr nicht mehr leisten. Die Mobilitycard – das Basler-Gästeticket, wurde 1998 als Instrument der Tourismusförderung eingeführt. Alle gewerblichen Übernachtungsbetriebe einschließlich Ferienwohnungen müssen das Gästeticket vertreiben, bei Verstoß drohen Strafen. Da das Ticket den Gästen einen günstigen ÖPNV-Zugang ermöglicht, wird von den Gästen vermehrt aktiv danach gefragt. Dadurch wird die Umgehung der Abgabe eingedämmt. Basel kann uns also als Vorbild dienen, wie das Gästeticket Gast-freundlich und für alle verpflichtend eingeführt werden kann. Die Präsentation von Herrn Groff finden Sie hier:
Frau Henckel, Geschäftsführerin des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg (VBB) wies darauf hin, dass mit dem Semesterticket bereits ein sehr gut funktionierendes Solidarsystem in Berlin etabliert sei. Wir haben also auch in der Stadt ein Instrument, an dem sich Ideen für die Zukunft orientieren können. Wie Frau Kapek in ihrer Begrüßung bereits sagte, ist das Verkehrssystem auch im Zusammenhang mit der wachsenden Stadt und dem Zusammenschluss mit Brandenburg zu einer Metropolregion zu denken. Allerdings bestehen beim Modalsplit, also der Anteile der verschiedenen Verkehrsarten an den Wegen der einzelnen Menschen, große Unterschiede zwischen Berlin und Brandenburg. Diese Unterschiede zeigen sich auch bei der Finanzierung des ÖPNV durch Fahrgelderlöse und Zuschussbedarf bzw. einem geringeren ÖPNV-Angebot in Brandenburg. Auch im VBB stößt das System an die Grenzen der bisherigen Finanzierung. Hinzu kommt die Notwendigkeit der Dekarbonisierung des Busverkehrs, höhere Gehälter bei den Fahrerinnen und Fahrern, steigende Energiekosten und die gewünschten Erweiterungen des ÖPNV-Angebots. So unterstützt Frau Henckel als Vertreterin des VBB das Anliegen, neue Finanzierungsquellen für den ÖPNV zu erschließen. Die Präsentation von Frau Henckel finden Sie hier:
In meinem Beitrag präsentierte ich meine Vorstellungen zum Gästeticket. Gekoppelt an die Übernachtungsbuchung sollen alle Gäste gewerblicher Übernachtungsbetriebe, egal aus welchem Grund sie nach Berlin kommen, in die Abgabe einbezogen werden. Mit ihrer Buchung erwerben sie gleichzeitig eine Tageskarte AB zu einem günstigeren Preis mit. Das betrifft etwa die Hälfte aller Berliner Gäste, die andere Hälfte übernachtet bei Freunden und Familie. Die touristischen Angebote von visitBerlin könnten als Erweiterung weiterhin zur Tageskarte dazu gebucht werden. Nach unseren vorläufigen Berechnungen ließen sich so Mehreinnahmen von etwa 100 Mio. Euro im Jahr erwirtschaften. Da es sich um eine Abgabe und nicht um eine Steuer handelt, können die Einnahmen zweckgebunden in den ÖPNV reinvestiert werden. Es könnte also eine Finanzierungsquelle erschlossen werden, die steigende Ausgaben ein Stück weit ausgleicht. Als alleiniges Instrument würde das Gästeticket als 3. Finanzierungssäule aber nicht ausreichen. Meine Präsentation finden Sie hier:
Es folgte die Podiumsdiskussion mit unseren Fachgästen. Die besprochenen Themen möchte ich hier in einer Auswahl, thematisch zusammengefasst, wiedergeben.
Vielleicht das dominanteste Thema bildete die Frage der weiteren Belastung der Gäste und des Gastgewerbes. Durch die Citytax sei das Hotelgewerbe schon sehr unter Druck, die Steuer sei schlecht gemacht und eine enorme Belastung. Durch einseitige Tariferhöhungen in den letzten Jahren seien die Touristen geschröpft. Sie sollten nicht immer noch mehr bezahlen müssen. Die Tariferhöhungen Anfang des Jahres haben zu einem Einbruch der Verkaufszahlen der WelcomeCard um 25% geführt – es zeigt sich also, dass die Gäste nicht bereit sind jede Summe für die Attraktionen der Stadt zu zahlen. Hier könnte ein Gästeticket für Verbesserung sorgen.
Das erklärte Ziel des Gästeticket wäre es, eine Win-Win-Situation für das Land Berlin, und für die Gäste der Stadt zu schaffen, ohne die Wirtschaft zu belasten. Mehr zahlen würden die, die sonst mit dem Auto / Chauffeur / Taxi in der Stadt unterwegs sind. Von jenen Gästen ist aber kaum anzunehmen, dass sie ein verbindliches Gästeticket von ihrer Berlinreise abhalten würde.
Eine Diskussion entspann sich auch um die Frage, ob der Flughafen Schönefeld in die Tarifzone AB integriert werden sollte. Es sei unpraktisch, wenn Reisende durch das Gästeticket praktisch zwar eine Tageskarte AB bekämen, für die Anreise vom Flughafen dann aber ein extra Ticket lösen müssten. Allerdings ist dazu zu sagen, dass die Anreise vom Flughafen fast nirgends so billig ist wie in Berlin. Basel hat sogar eine zusätzliche Tarifzone eingeführt, um die Flughafentransfer zu verteuern. Das schlägt sich überhaupt nicht in den Verkaufszahlen nieder.
Doch könnte mit dem Gästeticket neben Mehreinnahmen auch eine ökologische Lenkungswirkung erzielt werden? Nach Zahlen der BVG fahren bereits 92% der Gäste mit dem ÖPNV. Das Cityticket der Deutschen Bahn sei in dieser Hinsicht sehr unterstützend. Wenn aber 92 % der Gäste den ÖPNV benutzen (ausschließlich?), so müssten nach meinen Berechnungen eigentlich schon heute mehr Einnahmen generiert werden. Hier gilt es nüchterne Berechnungen auf einer verlässlichen Datengrundlage anzustellen.
Von Seiten der Politik und Verwaltung wurde mehrfach betont, dass die Einführung eines Gästetickets eine unter vielen Möglichkeiten darstellt, weitere Finanzierungsquellen zu erschließen. Es muss auf seinen finanziellen Nutzen, die operative Umsetzbarkeit und seine Kosten untersucht und dann mit weiteren möglichen Quellen abgeglichen werden.
Aus dem Publikum kam der Einwand, es solle doch besser eine Tageskarte ABC vertrieben werden. So würde der Tourismus auch über die Stadtgrenzen hinaus verteilt werden.
Ein Einwand einer S-Bahn-Mitarbeiterin verdeutlichte die Unsicherheit der Zielgruppe „Tourist*in“. Es bestünden bereits sehr viele Verträge, die mit der Einführung des Gästetickets sämtlich neu geregelt werden müssten. Auch darauf sei zu achten.
Abschließend äußerten sich die Teilnehmer*innen des Fachgesprächs ambivalent. Das Gästeticket birgt durchaus das Potenzial einer Win-Win-Situation. Die Citytax sollte dringend überarbeitet werden. Konsens besteht darüber, dass die Einnahmen zweckgebunden in den Ausbau des ÖPNV fließen müssen. Auch die Kritiker*innen des Gästetickets signalisierten ihr Interesse an einem weiteren Dialog. Allen ist wohl klar, dass wir in Zeiten des Klimawandels zur Verkehrswende gezwungen sind. Diese muss finanziert werden und jedes Instrument wird vorerst Fragen aufwerfen. Unser Ziel ist es, diese in einem möglichst offenen Dialog zu klären und gute Lösungen für alle zu finden.
Als weiterer Arbeitsauftrag aus dem Fachgespräch bleibt, dass eine einheitliche Datengrundlage für die konkreten Berechnungen mit dem VBB und den Verkehrsunternehmen hergestellt werden muss um fundierte Ergebnisse zu bekommen. Weiter verdeutlichte der Austausch mit dem Hotelgewerbe, dass das Gästeticket mit einer Reform der Citytax einhergehen sollte. Die besondere Stellung der Flughäfen ist zu beachten und es muss eine einfache technische Umsetzbarkeit gefunden werden.
Weitere Finanzierungsquellen für den ÖPNV werden wir in zwei Anschlussterminen beleuchten. Am 20. Mai wollen wir uns der Citymaut widmen. Und im Juni geht es um die Verkehrswende nach dem Wiener Modell – Parkraumbewirtschaftung und Dienstgeberabgabe.
Ich bedanke mich bei allen Anwesenden für die spannende Diskussion und würde mich sehr freuen, Sie auch bei den kommenden Veranstaltungen begrüßen zu dürfen.
Ihr Harald Moritz