Am vergangenen Dienstag sammelte sich eine erfreulich große Anzahl von Interessierten in meinem Kiezbüro, um über Obdachlosigkeit zu sprechen. Fatoş Topaç, MdA, Sprecherin für Sozial- und Pflegepolitik gab einen Überblick der Maßnahmen der Rot-rot-grünen Koalition im Abgeordnetenhaus von Berlin und des Senats sowie über die Nacht der Solidarität am 29. Januar 2020. Elke Ihrlich, Leiterin der offenen Sozialarbeit des Sozialdienstes katholischer Frauen, stellte das neue Duschmobil des SkF vor, berichtete über die Entwicklung der Evas Haltestelle, und das Housing First Projekt für Frauen. Aus der praktischen Arbeit mit Obdachlosen im Treptower Norden erfuhren wir von Stephan Boss und Hauke, die im langjährigen Projekt Notübernachtung / Nachtcafé Arche in der Bekenntnisgemeinde in der Plesserstraße 4 mitwirken.
Obdachlosigkeit ist ein wachsendes Problem auch in Berlin. Schätzungen gibt es unterschiedliche, von 6.000 bis 10.000 Obdachlosen ist oft die Rede. Fakt ist, dass in den letzten Jahren Obdachlosigkeit immer sichtbarer im Stadtbild geworden ist. Durch die Verdichtung, den Wegfall von Brachen und leerstehenden Gebäuden durch Bautätigkeit, die Mietenentwicklung und auch Zuzug ist die Zahl die der Obdachlosen Menschen in Berlin gewachsen.
Um belastbare Erkenntnisse zu gewinnen organisierte die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales im Januar 2020 eine Zählung. Mit der Zählung wurde eine langjährige Forderung von Wohlfahrtsverbänden, Initiativen und Sozialarbeitenden erfüllt. Denn je genauere Informationen es über die obdachlosen Menschen, gibt, desto besser kann die Unterstützung für sie angepasst werden. Die Nacht der Solidarität war die erste Zählung dieser Art in Berlin. Die Ergebnisse sind wegweisend, allerdings hat die geringe Anzahl der Angetroffenen Obdachlosen viele doch überrascht. Wiederum hat sich die Informationslage die der Planung zu Grunde lagen über zu erwartenden Hotspots bestätigt. Auf Grund der Ergebnisse dieser Nacht können einige Justierungen vorgenommen werden, sei es um Angebote für Paare und Gemeinschaften auszubauen oder auch die existierenden Angebote sprachlich besser aufzustellen. Im Sommer 2021 wird die Nacht der Solidarität wiederholt. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse finden Sie hier.
Fatos Topac, MdA, Sprecherin für Sozial- und Pflegepolitik gab uns einen Überblick über Maßnahmen des rot-rot-grünen Senats, um das Leiden auf der Straße zu lindern und über geplante weiteren Schritte, um die Versorgung der Obdachlosen zu verbessern. Zuallererst kann gesagt werden, dass das Thema Obdachlosigkeit von R2G endlich ressortübergreifend bearbeitet wird und nicht isoliert als sozial- oder gesundheitspolitisches Problem betrachtet wird. Das Thema Obdachlosigkeit wurde in einer Reihe Strategiekonferenzen mit einer breiten Beteiligung von Akteur*innen und Senatsverwaltungen bearbeitet, deren Ergebnisse in die im September 2019 beschlossen neuen Wohnungslosenleitlinien eingeflossen sind. Die bündnisgrüne Fraktion hat Ende letzten Jahres einen 11-Punkte-Plan zur Wohnungs- und Obdachlosenhilfe beschlossen. Im Rahmen von Fachtagen und Gesprächsrunden sind wir im engen Austausch mit der LIGA, den verschiedenen Trägern und den Koalitionsfraktionen, um konkrete Fragen und Handlungsbedarfe zur Wohnungsnotfallhilfe anzugehen.
Die Koalition hat die mobile Versorgung für Menschen, die überwiegend auf der Straße leben gestärkt. Seit Mai 2019 sind die Karuna SUB Busse auf den Straßen Berlins unterwegs. Seit August 2019 auch ein Duschbus für Frauen (darüber gleich mehr). Mit der Caritas Krankenwohnung wurde ein Ort geschaffen, an dem Menschen, die auf der Straße leben, sich auskurieren können. Bisher gibt es dort 15 Plätze und eine Betreuung durch Pflegefachkräfte und einer Sozialarbeiterin. Im Rahmen der Haushaltsberatungen wurden Gelder bereitgestellt, um die Anzahl der Betten aufzustocken. Die bündnisgrüne Fraktion hat sich hierbei dafür eingesetzt, dass ein Teil der Betten als Hospizplätze bereit gestellt wird. Denn auch Menschen ohne Obdach muss in Berlin ein Sterben in Würde möglich sein. Die Kältehilfe wurde um zwei Monate verlängert (Oktober-April), die Anzahl der Betten auf 1168 aufgestockt. Im Rahmen der Haushaltsberatungen wurden Gelder für ein Modellprojekt zur Unterbringung obdachloser Menschen im Rollstuhl bereitgestellt. Warte- und Wärmehallen wurden als Ersatz für die klassischen Kältebahnhöfe des letzten Jahres (z.B. Lichtenberg) wurde eine Warte- und Wärmehalle zwischen zwei U-Bahnhöfen realisiert (in den Räumen des Sozialen Zentrums Gitschiner 15 der Ev. Kirche, Träger Karuna. Hier finden Obdachlose Möglichkeiten zum Aufenthalt, Übernachtung, Hilfeangebote und Beratung. Außerdem gibt es nun Leitsysteme, Betreuungspersonal sowie Kälte- und Wärmebusse, die Menschen ohne Obdach an andren Bahnhöfen zu dieser Wärmehalle weitervermitteln.
Aktuell arbeiten wir an verschiedenen Modellprojekten, um mit innovativen Ideen neue Wege zur Überwindung von Obdachlosigkeit und ihrer Folgen zu gehen. Drei dieser Projekte stellt siehe oben vor. Erstens das Tiny House Projekt in Kreuzberg, bei dem ca. 20 Tiny Houses Menschen ohne Obdach für zwei Jahre ein Dach über dem Kopf, eine zuverlässige Hygieneversorgung und und Beratungsmöglichkeiten durch Sozialpädagog*innen bieten. Zweitens das Housing First–Modellprojekt zur langfristigen Bekämpfung von Obdachlosigkeit, in dem Menschen langfristig und mit eigenem Mietvertrag untergebracht und darüber hinaus professionell begleitet werden. Das Projekt läuft erfolgreich: im ersten Jahr wurden bereits 20 der veranschlagten 40 Wohnungen erfolgreich vermittelt. Und drittens die Häuser der Hilfe, wo Beratungsangebote, Plätze der Kältehilfe, und Werkstätten und Räume für Projekte unter einem Dach vereint werden.
Für die Zukunft Plant R2G noch weitere, nachhaltige Maßnahmen. So wollen wir zum Beispiel die soziale Infrastruktur wie Träger der Obdachlosenhilfeeiner Gewerbemietpreisbremse und einen effektiven Kündigungsschutz vor Verdrängung schützen. Fatos Topac lässt zudem prüfen, ob bei der Schaffung neuer soziale Infrastruktur landeseigene Grundstücke in Erbbaupacht genutzt werden können. Modellprojekte zu innovativen Formen der Unterbringung in Kombination mit sozialpädagogischer Betreuung und keine verfestigten Unterbringungen unterhalb des Niveaus der Kältehilfe. Vulnerable Gruppen schützen: mehr zielgruppenorientierte Angebote für Menschen mit Behinderungen, Frauen, Kinder, pflegebedürftige Menschen, Menschen mit Suchterkrankungen und weitere Gruppen. In den Beratungsangeboten wollen wir einheitliche Qualitätsstandards durch Zielvereinbarungen mit den Bezirken und Trägern. Ganzjährige Angebote in einem aufeinander abgestimmten Gesamtsystem (rund 600 Plätze) auch zwischen Mai und September, allerdings sind hier noch viele Fragen offen. Ein aufeinander abgestimmtes Gesamtsystem bedeutet mehr als nur den Bereich der Notübernachtungen zu verstetigen. Maßnahmen zur Prävention und Versorgung müssen dem tatsächlichen Bedarf angepasst werden. Eine passgenaue, planbare und nachhaltige Versorgung kann nur durch die Einführung einer Wohnungs- und Obdachlosenstatistik und dem integrierten Armuts- und Sozialbericht für Berlin ermöglicht werden. Und zu guter Letzt wollen wir präventiv arbeiten: Schutz vor Wohnraumverlust auch für EU-Bürger*innen, Unterstützung durch Beratung bei Mietschulden in Mietverträgen der städtischen Wohnungsbaugesellschaften verankern und Zwangsräumung von Familien mit Kindern nicht ohne Ersatzwohnraum zulassen.
Frau Elke Ihrlich (SkF, Sozialdienst katholischer Frauen e.V. Berlin) berichtet vom neuen Hygieneangebot für Frauen, dem Duschmobil. Es ist ein umgebauter Camper, welches für Obdachlose Frauen Hygiene ermöglicht, frische Kleidung bereit hält und eine beständige Anlaufstelle für niederschwellige Hilfen ist. An mehreren Tagen die Woche ist das Mobil unterwegs an verschiedenen Standorten. Das Mobil wurde nach einem Vorbild aus Paris von Matthias Müller von Workerfashion eigenhändig gebaut und komplett gesponsert. Seit Anfang des Jahres finanzieren das Land Berlin und den Senat für Integration, Arbeit und Soziales den Betrieb des Duschmobils. Duschen, Beratung, Aufwärmen, einfach kommen dürfen und da sein – dafür steht das Duschmobil für Frauen. Standorte und Termine: Montags St.Marien Liebfrauen Kirche – Wrangelstr. 50, 14:00 – 16:30 Uhr, Mittwochs Kurfürstenstr, Ecke Froebenstr., 15:00 – 18:30 Uhr, Freitags – Ostkreuz Kynastraße, Ecke Hauptstr., 13:00 – 16:00 Uhr. Weitere Standorte kommen nach Bedarf und Verfügbarkeit der Mitarbeiterinnen dazu. Telefonisch ist das Angebot unter der Nummer 0151 146 48 756 zu erreichen. Genaueres auch unter https://duschmobil.de/
Des weiteren stellt Frau Ihrlich die Angebote Evas Haltestelle und Housing First für Frauen vor. Evas Haltestelle ist eine Tagesstätte für Frauen, in dem sie Ruhe, Gemeinschaft und Unterstützung finden können mit 20 Betten, die auch tagsüber zur Verfügung stehen so dass die Frauen ihre Energie nicht nur zum puren überstehen des Tages nutzen müssen sondern substanziell an ihrer Situation arbeiten können. Über den SkF gibt es auch das Angebot Housing First für Frauen in Berlin, bei dem von Wohnungslosigkeit betroffene Frauen wieder schnellstmöglich eigenen Wohnraum mit eigenem Mietvertrag erhalten; gleichzeitig erhalten sie ein verlässliches Beratungsangebot. Evas Obdach ist eine ganzjährige Notübernachtung nur für Frauen mit 30 Plätzen.
Aus der Praxis der Obdachlosenhilfe hier im Treptower Norden berichten Stephan Boss und Hauke. Die Notübernachtung / Nachtcafé Arche in der Plesserstraße ist die erste Einrichtung dieser Art im Osten Berlins und feiert demnächst seinen 30 Geburtstag. In der von der Gemeinde mietfrei zur Verfügung gestellten 2,5 Zimmerwohnung können 16 Personen von Oktober bis April an fünf Tagen die Woche übernachten. Zudem wird dort Abendessen für alle gekocht, es kommen auch immer Gäste, die nur zum Essen kommen. Nach dem Frühstück um acht Uhr schließt die Einrichtung für den Tag. Es gibt Beratungsangebote, die Dusche kann genutzt, Wäsche gewaschen und eine kleine Kleiderkammer genutzt werden. Die räumlichen Bedingungen sind so knapp bemessen, dass zum Essen/Schlafen immer umgebaut werden muss. Da packen alle mit an. Etwa 30 Gäste, Männer wie Frauen, sind regelmäßig da, das Angebot ist kostenlos und kann auch anonym in Anspruch genommen werden. Das Team besteht aus ca. 15 Mitarbeitenden, die vier Nächte pro Monat in Zweierteams die Gäste betreuen, die Nacht wachen, sich ums Essen und medizinische Notlagen kümmern.
Das Kiezgespräch hat Realität der Obdachlosigkeit schonungslos dargestellt, aber auch aufgezeigt welche vielfältigen Angebote mit unterschiedlichen Hilfeansätzen durch Rot-Rot-Grün organisiert und finanziert werden. Ohne die engagierte Arbeit der Trägervereine und der vielen freiwilligen Helfer*innen wäre die Arbeit für und mit Obdachlosen nicht denkbar. Frau Irlich hat auch eindringlich auf die immer größer werdenden Unterschiede zwischen Arm und Reich hingewiesen und deutlich eingefordert, dass die Reichen in dieser Gesellschaft ihrer Verantwortung gerecht werden müssen.
Obdachlosigkeit wird allerdings am besten begegnet, indem Hilfeangebote schon greifen wenn Wohnungsverlust erst droht.
Das “Kiezgespräch” findet in der Regel einmal im Monat zu aktuellen Themen statt, die den Kiez und die Stadt bewegen. Am 24.03.2020 um 19.30 Uhr findet das nächste Kiezgespräch statt, dann in der Kiezgalerie, Karl-Kunger-Straße 15, 12435 Berlin: Thema ist „Mietendeckel beschlossen – was nun?“. Meine Kollegin Katrin Schmidberger, MdA, Sprecherin für Wohnen und Mieten wird mit mir über die aktuelle Lage zum Mietendeckel informieren, mit dabei sind auch Mieterberater von asum GmbH. Sie sind herzlich eingeladen, auch an dieser Veranstaltung dabei zu sein.